Idyll und Massenmord
Ettlingen (Emily Dettling/Ba). Jedes Jahr fahren Klassen des Ettlinger Heisenberg Gymnasiums ins ehemalige Konzentrationslager Natzweiler-Struthof im Elsass. Nach der Besichtigung des Lagers führt der Weg zurück zum Bus an der Kommandantenvilla vorbei, die nur gut 100 Meter entfernt liegt.
Man fragt sich unweigerlich, wie man direkt neben einem Konzentrationslager leben konnte. Man musste die Schüsse und Schreie hören, den Rauch des Krematoriums sehen. Mit genau diesen Fragen beschäftigt sich auch der preisgekrönte Film „The Zone of Interest.“
Am 18.03. 2024 hatten die Schülerinnen und Schüler der Klassen 9 bis 11 die
Gelegenheit, den Oscar-prämierten Film im Kino „Kulisse" anzusehen. Der Film entführt die Zuschauer in die Welt der Familie des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß, die direkt neben dem Konzentrationslager lebt und dabei die Grausamkeiten, die sich in unmittelbarer Nähe abspielen, nicht wahrzunehmen scheint.
"The Zone of Interest" schildert die ungewöhnlichen Beziehungen der Charaktere und
zeigt die fehlende Anteilnahme an den schrecklichen Ereignissen des Holocausts. Insbesondere die Eheleute im Zentrum der Handlung bleiben emotionslos, was dem ganzen Film einen distanzierten und kühlen Charakter verleiht. Dadurch tauchen die Zuschauerinnen und Zuschauer in eine Welt ein, in der die Menschlichkeit auf erschreckende Weise verloren gegangen ist. Trotzdem lebt die Familie Höß ein bürgerliches Familienleben mit Kaffeekränzchen im Garten und spielenden Kindern. Frau Höß düngt ihre Blumen sogar mit der Asche der Ermordeten.
Der Film weckte bei den Schülerinnen und Schülern den unangenehmen Wunsch, einen Blick hinter die Mauer des Konzentrationslagers, hinter den Zaun, zu werfen, während man sich gleichzeitig für dieses Gefühl schämt. Doch genau das ist gewollt. Dieser Film möchte keine spannende Handlung oder die furchtbaren Seiten des Konzentrationslagers zeigen, sondern ein bestimmtes Gefühl vermitteln. Auch beim späteren Nachdenken über den Film kann man es nicht fassen, dass die Menschen, die direkt neben einem Konzentrationslager wohnten, ihr Leben so führen konnten.
Die starre Kameraführung verstärkten die Empfindung, nur stille Beobachter zu sein, ohne eingreifen zu können. Trotz der eindringlichen Inszenierung und der starken schauspielerischen Leistungen fehlte es dem Film allerdings an einem klaren roten Faden. Die Handlung musste von den Zuschauern nach dem Film Stück für Stück zusammengesetzt werden. Ein Beispiel hierfür war die Rolle eines polnischen Mädchens, das Essen für Häftlinge versteckte. Seine Bedeutung konnte erst im gemeinsamen Gespräch (und mit Hilfe des Internets) geklärt werden. Besonders beeindruckend hingegen war die Qualität der Filmtechnik in "The Zone of Interest". Die visuellen Effekte und die Filmmusik trugen maßgeblich dazu bei, die Atmosphäre des Films zu verstärken.
Insgesamt war "The Zone of Interest" ein Film, der durch seine Verschleierung und seinen distanzierten Blick auf die Geschehnisse im Konzentrationslager eine unangenehme, aber wichtige Erfahrung bot. Der Film regte zu lebhaften Diskussionen über Moral und menschliche Beziehungen an und wird sicherlich noch lange in unseren Köpfen bleiben.
Die ehemalige Kommandanten-Villa neben dem KZ Natzweiler-Struthof (Foto: Badior).