„Auch wir Russen brauchen Hilfe!“

DAAD-Alumnus kritisiert „Doppelstandards“ des Westens

   Heidelberg/Bruchsal (Be). Eine unerwartete Reaktion gab es auf den Spendenaufruf für ein Krankenhaus in Charkiw, das der Freundeskreis des Deutschen Akademischen Austauschdienstes Rhein-Neckar in Kooperation mit dem Heisenberg-Gymnasium Bruchsal veröffentlicht hatte. „Möchte niemand für uns Russen spenden? Wir leiden seit über 20 Jahren unter unserer Regierung! Das sind die berühmten doppelten Standards des Westens…“ Mit diesen Worten meldete sich ein ehemaliger DAAD-Stipendiat aus Wladiwostok per E-Mail bei den Organisatoren und sorgte damit für, gelinde gesagt, ungläubiges Staunen.
    Auf konkrete Nachfragen präzisierte der Russe dann sein Anliegen und seine Kritik. Sein Land sei von einer „Gruppe von Killern“ besetzt, die seit über zwei Jahrzehnten die eigene Bevölkerung töteten. Es sei „sehr traurig“, was in der Ukraine passiere, und er bedauere die „spezielle Militäroperation“ (Den Begriff benutze er aus Angst vor Überwachung) durch Putins Armee. Diese Operation sei „unglaublich“ und tue ihm „wirklich leid“, aber sie dauere „erst seit weniger als einem Jahr an“ – im Vergleich zu mehr als zwei Jahrzehnten Unterdrückung in Russland selbst. Und in der aktuellen Lage zeige sich eben erneut, dass „der Westen“ mit zweierlei Maß messe.
    Durch die Sanktionen und Demütigungen werde Russland endgültig zu einem Führerstaat wie Deutschland unter Hitler – nur eben mit Nuklearwaffen. Der Westen müsse stattdessen den Russen helfen, sonst werde er am Ende selbst zur Zielscheibe. „Wir brauchen hier und jetzt die Hilfe der Europäer: Spendengelder oder Visa, um unser Land verlassen zu können!“ Andernfalls werde die Mehrheit im Lande der Propaganda des Kremls aufgrund ihrer eigenen Armut weiterhin Glauben schenken. Denn Putin nutze die Sanktionen, um den Westen zu diskreditieren, für viele aus historischen Gründen ohnehin noch der Feind schlechthin: „Solche Leute glauben, sie müssten diesen Kampf gewinnen - oder Russland würde aufhören zu existieren!“ Und wie Menschen reagieren, denen nichts bleibe außer Propaganda, zeige die deutsche Geschichte.
    Der Unterschied zwischen einer korrupten und brutalen eigenen Regierung und dem verbrecherischen Angriffskrieg einer ausländischen Macht bestehe nur darin, dass „die Ukraine ihre Annehmlichkeiten schnell verloren hat, die Russen über die letzten zwei Jahrzehnte.“ Deshalb solle man die Menschen gleich behandeln, denn „beide Länder benötigen Hilfe.“ Im Übrigen seien russische Winter „noch viel kälter“ als ukrainische und die Energieinfrastruktur auch in vielen Teilen Russlands nicht mehr intakt. Die Ukraine brauche natürlich viel Unterstützung, in manchen Bereichen habe Russland diese aber noch nötiger. Sein Fazit: „Je schneller die Welt das realisiert, je schneller endet diese Hölle!“ Öffentlich äußern möchte er sich im Übrigen nicht: „Ich bin nicht Alexei Nawalny. Ich möchte nicht ins Gefängnis. Danke.“
    Was ihm die Menschen in Butscha, Irpin, Lyman und Isjum, in Kiew oder eben Charkiw wohl antworten würden?

 
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