HBG Bruchsal: Scheffelpreisrede der Abiturientin Pia Doll

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Seit dem 3. September 2005, dem Tag meiner Einschulung,  bis zum heutigen Abend, sind 4332 Tage vergangen. In dieser Zeit hat der Jupiter die Sonne exakt, wirklich auf den Tag genau, einmal umrundet. Seit zwölf Jahren ist Angela Merkel als erste weibliche Bundeskanzlerin der BRD im Amt und, auch wenn das Internet für uns alle Neuland ist, ist das größte soziale Netzwerk Facebook schon seit zwölf Jahren online. Seit 2005 sind der EU drei Staaten beigetreten und Großbritannien wird sie als erstes Land überhaupt in absehbarer Zeit wieder verlassen. Während dieser Zeit wurden in Deutschland jährlich ca. 5,8 Mio PKWs produziert, und der Ausdruck #NoFilter hat im Zusammenhang mit Dieselmotoren eine ganz neue Bedeutung bekommen…  Überall auf der Welt entstehen neue Problemfelder wie der Klimawandel, die Flüchtlingskrise oder der Kampf gegen den Terror, von denen die ganze Welt betroffen ist und deren Lösungen in weiter Ferne zu liegen scheinen.
In dieser bewegten und ereignisreichen Zeit sind wir 44 Abiturienten aufgewachsen und durften unser Recht auf Unterricht zunächst in der Grundschule, später dann hier am Heisenberg-Gymnasium wahrnehmen.
Aufgrund des nun nahenden Endes unserer Schulzeit haben sich mehrere, meist ältere Leute, wie Eltern, Großeltern und Lehrer, sich mit mir über meine und ihre Schulzeit unterhalten, und grundsätzlich hatten alle mehr oder weniger die gleiche Kernaussage: "Genieß deine Schulzeit, denn das sind die besten und schönsten 12 Jahre, die du je haben wirst. Danach beginnt dann der Ernst des Lebens mit harter Arbeit, und du wirst nie wieder so viel Freiraum und Spaß haben wie in der Schule!" Na danke, das sind ja tolle Aussichten für die Zukunft, wenn zwölf Jahre lang Stillsitzen und Pauken die beste Zeit meines Lebens gewesen sein soll und diese jetzt schon hinter mir liegt...

Gut, zugegeben, das mag vielleicht etwas übertrieben sein, aber mir stellt sich persönlich die Frage, wie wichtig unsere Schulzeit denn tatsächlich ist beziehungsweise nun war, und was wir wirklich aus dieser Zeit mitnehmen werden. Denn im Vergleich mit eben all den anderen wichtigen Dingen,  die seit 2005 passiert sind und häufig globale Auswirkungen hatten, scheinen unsere zwölf Jährchen in der Schule doch geradezu lächerlich, wenn man bedenkt, dass wir in dieser Zeit eigentlich nichts  zum Weltgeschehen beigetragen haben. Wir durften bis vor kurzem noch nicht mal wählen gehen...
Wieso also sind die meisten, die Ihre Schulzeit seit einiger Zeit hinter sich gebracht haben, der Meinung,  dass es sich hierbei um einen so unheimlich tollen und wichtigen Lebensabschnitt handelt? Insbesondere für einige von uns Abiturienten scheint diese Ansicht eventuell etwas paradox, wenn man bedenkt, dass wir die letzten zwei Jahre lang so geackert haben, um die Schule nun endlich hinter uns lassen zu können.
Da ich ja heute die ehrenvolle Aufgabe habe, diese Rede zu halten, und mich dazu entschieden habe, diese genau so zu gestalten, wie Sie sie gerade hören, habe ich mich mit dieser Thematik auseinandergesetzt, um eine mehr oder weniger befriedigende Antwort darauf zu finden, was es denn jetzt genau ist, das unsere Schulzeit für uns zukünftig so wichtig erscheinen lässt.

Generell handelt es sich bei der Schule ja um eine gesellschaftliche Institution mit dem Ziel, Bildung an Kinder und Jugendliche zu vermitteln. Die meiste Zeit, die wir in der Schule verbracht haben, bestand daher aus Unterricht in den verschiedensten Fächern, von dem im besten Fall einiges hätte hängen bleiben sollen. Ich habe mal ein paar Fragen vorbereitet, mit denen wir uns die letzten Jahre lang rumgeschlagen haben. Ich bin mal gespannt, ob neben den entsprechenden Lehrern und uns Schülern jemand die Antwort auf die folgenden Fragen kennt:

1.Da ich hier die Scheffelpreisrede halte, beginnen wir doch mal mit Deutsch:
Welche Art von Vertrag geht Faust mit Mephisto ein?
2. Nächstes Fach, Chemie, mein persönlicher Favorit:
Wie berechnet man die molare Standartilungsenthalpie von chemischen Reaktionen?
3. last but not least, unser aller Liebling Mathematik:
Bestimmen Sie die Extrem- und Wendestellen des Graphen der Funktion
f(x)= (x2)/((1-e3-x)x) und untersuchen Sie zudem das Verhalten des Graphen für x→ +/- ∞ und bestimmen Sie alle Definitionslücken.

An diejenigen, die das alles ad hoc beantworten konnten, sämtliche Lehrkräfte und ein paar Schüler mal ausgeschlossen, Hut ab! Krasse Leistung.

An alle Normalsterblichen, die etwas ins Stocken geraten sind: Vielen Dank, Sie haben gerade durch Ihr Schweigen mein Argument untermauert, dass anscheinend der Inhalt des Lehrplans nicht das ist, was die Schulzeit so besonders macht. Natürlich werden wir nicht alles Gelernte sofort wieder vergessen, aber der Schulstoff ist nun einmal auch nicht das erste, an das man sich wieder erinnern wird, wenn man an die Schule zurückdenkt.
Viel entscheidender als das Wissen über Formeln, Jahreszahlen und unabdingbare kalte harte Fakten, sind nämlich eigentlich alle Dinge, die drum herum und nebenbei passiert sind, egal ob während des Unterrichts, der Pausen oder während der Wochenenden oder Ferien.
Denn in acht Jahren, in denen man sich fast täglich gesehen und sechs bis neun Schulstunden miteinander verbracht hat, passieren einfach witzige und auch menschliche Dinge, die viel einprägsamer und bedeutender sind, als sämtlicher Inhalt unserer Schulbücher. Wobei ich gestehen muss, dass insbesondere die Französisch- und Englischbücher der Unterstufe unheimlich penetrant sind, wenn es darum geht, einem schreckliche Ohrwürmer zu verpassen. Denn selbst heute ertappe ich mich dabei, wie ich ab und an "I'm Prunella the poltergeist" oder "Mon chat Filou est fou de croquettes Martou" vor mich hinsumme.

Aber rückblickend muss ich schon sagen, dass wir, die Lehrer mit eingeschlossen, in den letzten acht Jahren wirklich viel erlebt haben: Vom Bau von Lagern in der Hecke des alten Schulgebäudes, einem riesigen toten Karpfen, der beim Sezieren nochmal ordentlich mit der Schwanzflosse geschlagen hat und uns alle mit seinen Innereien besprenkelt hat und völlig schiefgegangenen Experimenten, deren Überreste vermutlich auch in zehn Jahren noch an der Decke des Chemieraumes kleben werden, bis hin zu Ausflügen an und in die Saalbach, in den Wald  auf den Michaelsberg, nach Heidelberg, Stuttgart, Strasbourg, Verdun, München, Salzburg, Konstanz und Winterthur. Während unserer Landschulheimaufenthalte haben wir zusammen, beziehungsweise die Hälfte von uns, bei gefühlten -20°C für drei Tage gezeltet, sind an der Nordsee durchs Watt gewandert und haben Queller gegessen, haben uns in Inzell auf dem Airtramp und beim Bogenschießen ausgepowert, sind von Glücksburg nach Dänemark gesegelt und zurück bei Flaute mit einem Paddel und einer Bürste gepaddelt und haben die Straßen von Budapest und Berlin unsicher gemacht. Außerhalb von der Schule haben wir Kindergeburtstage gefeiert, haben Filme geschaut, uns als Zauberer und Fabelwesen verkleidet und zusammen auf Luftmatratzen im Gartenhüttchen übernachtet. Wir waren zusammen beim Training, haben ganze Wochenenden in der Halle verbracht, uns gegenseitig angefeuert, Niederlagen weggesteckt und Siege bejubelt.  Mehr als einmal haben wir auf Äckern übernachtet, über dem Lagerfeuer gegrillt und natürlich nichts außer Milch und Apfelsaftschorle getrunken, nur um am nächsten Morgen entweder gar nicht oder völlig k.o. in der Schule aufzukreuzen.

Ich schätze mal, dass es hauptsächlich diese oder ähnliche Erlebnisse sein werden, an die wir uns in einigen Jahren erinnern werden, wenn wir auf unsere Schulzeit zurückblicken.
Aaaber, auch wenn einiges an Fachwissen früher oder später im See des Vergessens untergehen wird, und wir uns lieber an die ganzen außergewöhnlichen Sachen erinnern, darf man auch nicht vergessen, was wir in der Schule denn tatsächlich wirklich für unser Leben mitgenommen haben: Zunächst einmal haben wir gelernt, wie wir unser Ideen ordnen, und ihnen, sei es sprachlich, schriftlich oder mathematisch viel tieferen Ausdruck verleihen. Erst dadurch öffneten sich uns die Möglichkeiten, wirklich komplexe Probleme, egal ob schulischer oder zwischenmenschlicher Art, auf die bestmögliche Weise bewältigen zu können. In Deutsch habe ich beispielsweise gelernt, dass eigentlich jeder Text Raum zum Interpretieren lässt, und dass alles, sowohl in Büchern als auch in der Realität, um einiges vielschichtiger ist, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Außerdem können wir dank einiger Auseinandersetzungen im Unterricht, zumindest meistens, sachliche und interessante Diskussionen führen, bei welchen man manchmal durch die Standpunkte seines Gegenübers eine ganz neue Sichtweise entwickeln kann.

Mathe hat uns gezeigt, dass es mehrere Wege gibt, ein Problem zu lösen, und dass auch völlig unterschiedliche Ansätze zum selben Ergebnis führen können. Fremdsprachen wie Englisch, Französisch und Spanisch haben uns darauf vorbereitet, über unseren eigenen Schatten zu springen, wenn es darum geht, neue Länder und Kulturen kennenzulernen und dass es völlig in Ordnung ist, Fehler zu machen, weil man aus denen am meisten lernt und man am Ende eigentlich trotzdem immer verstanden wird. Und auch wenn viele eine Abneigung gegen die Naturwissenschaften haben, haben uns diese dennoch gelehrt, die Dinge immer kritisch zu hinterfragen und sich niemals mit anscheinend allgemeingültigen Aussagen zufriedenzustellen. Durch die Schule haben wir quasi spielerisch gefragte Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Ordnung und eine kritische Denkweise der Welt gegenüber entwickelt, alles Eigenschaften, die heute in fast Jedem Job sehr gefragt sind.
Aber abgesehen von unseren Chancen für unser zukünftiges Leben, haben wir vor allem Freundschaften geschlossen, die hoffentlich noch eine ganze Weile, vielleicht auch für immer halten. Denn nur durch die Schule hatte ich das Glück, die Leute zu treffen, die mindestens genau so verrückt sind wie ich und die auch noch freiwillig ihre Zeit mit mir verbringen. Zusammen haben wir unsere Schulzeit durchgestanden und haben in den letzten acht Jahren wirklich viel erlebt. Ich möchte nicht darüber urteilen, ob unsere Schulzeit die beste Zeit unseres Lebens gewesen ist, denn dafür haben wir einfach noch viel zu viel vor uns, um das bewerten zu können. Und dennoch bin ich der Ansicht, dass uns die letzten Jahre hier am Heisenberg-Gymnasium wirklich hervorragend auf unseren zukünftigen Werdegang vorbereitet haben.

An dieser Stelle möchte ich mich im Namen aller Abiturienten bei allen Lehrern, Herrn Schneider und unseren Familien für Ihr riesiges Engagement und Ihre Unterstützung bedanken. Ohne Sie wäre das alles so definitiv nicht möglich gewesen. Dank Ihnen, aber vor allem auch durch unsere Bemühungen stehen uns nun jede Menge  Türen offen; für welche davon wir uns allerdings entscheiden, um unseren zukünftigen Weg zu gehen, liegt nun bei uns selbst. WIR haben es bis hierher geschafft und die Entscheidung, wie es weitergeht, liegt jetzt bei UNS. Und auch wenn diese Entscheidungen nicht immer die besten sein werden, ist es dennoch eben diese Aufgabe, Entscheidungen selbst zu treffen und mit deren Konsequenzen leben zu müssen oder zu dürfen, was das Erwachsensein ausmacht. Auch wenn das vielleicht bedeutet, dass man sich mit 21 die Haare neongrün färbt, sich ein peinliches Tattoo mit dem Namen irgendeiner Ex-Liebschaft zu stechen und ein Medizinstudium angefangen und erfolgreich abgebrochen hat, weil man eigentlich viel lieber Kindergärtner oder Bierbrauer werden möchte. Wir haben genau jetzt die Chance, die Version von uns selbst zu werden, die wir schon immer sein wollten, auch wenn das bedeutet Risiken einzugehen, mal ordentlich auf die Schnauze zu fallen und zu denken, dass es nicht mehr weiter geht. Aber es wird sich immer ein Weg finden, auch wenn es nicht der leichteste sein wird. Man wächst an allem, das man erlebt. wichtig ist nur, dass man rausgeht und sich traut die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, neue Sachen zu probieren und sich für das einzusetzen, das einem Spaß macht und das man liebt. Letztendlich wird es sich im Nachhinein immer lohnen, für etwas in seinem Leben zu kämpfen, denn unser EINES Leben wird genau das, was wir von nun an daraus machen!

 
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